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                                                                                                             von

 

                                                                                  Rudolf  Lughofer

 

 

 

 

 

 

  

 

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Predigt: Ja zum Leben und zum Sterben, Phil. 1,15-21

 

„Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“

Liebe Gemeinde,
aus diesem Satz klingt eine tiefe Gelassenheit. Ich sagte es schon: ein positiver Blick auf das Leben wie auch auf das Sterben. Paulus denkt in einer großen Weite; er sagt ja zum Leben und zum Sterben. Können auch wir diese Freiheit finden?

Sicher: Paulus ist in einer ganz anderen Situation. Er sitzt im Gefängnis, wahrscheinlich in Ephesus. Wenn er von Fesseln spricht, dann könnte das ganz wörtlich gemeint sein. In einem anderen Brief schreibt er davon, dass er in Ephesus mit wilden Tieren gekämpft hätte, was wohl eine übertragen gemeinten Umschreibung einer sehr schlimmen Lage ist. Es wäre schon verständlich, wenn er sterben möchte – sterben, weil das Leben unerträglich ist.   

Es kommt noch hinzu: Aus Philippi erreicht ihn eine sehr gemischte Botschaft. Da treten nämlich Prediger auf, die ihn diffamieren. Sie sprechen zwar von der Gnade, die uns in allem frei macht. Ja. Aber gleichzeitig schwingt bei ihnen eine andere, eine hässliche Botschaft mit: „Jetzt“, sagen sie, „kommen wir mit der wahren Freiheit. Vergesst Paulus, der ist nur eine erbärmliche Gestalt mit seiner trockenen, akademischen Predigt. Paulus – der strahlt doch nichts aus, keine Begeisterung, kein Enthusiasmus. Aber nun hört auf uns! Ihr sollt einfach aus euch heraus gehen. Ruft Halleluja! Ihr dürft alles. Alles liegt zu euren Füßen!“

Es gibt auch die anderen in Philippi. Die reden aus einer tiefen Liebe und sagen: „Wir müssen jetzt für Paulus beten, ihm Boten schicken. Er leidet. Gott hat uns seine Liebe geschenkt – da müssen wir uns doch umeinander und gerade um die Kranken und Gefangenen kümmern.“

Diese Fürsorge tut gut, aber die Worte der anderen Prediger – es schmerzt, so diffamiert zu werden. Wie reagiert Paulus? Er sagt einfach: „Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber.“ Dass ihn die anderen fertig machen, ihn verachten und bloßstellen – er steht darüber. Er muss nicht die ihm zugetanen Leute gegen die unlauteren Prediger ausspielen, die eine Hälfte der Gemeinde gegen die andere. Die Hauptsache ist doch, dass die frohe Botschaft von Jesus Christus weitergetragen wird, dass sich Menschen von der großen Gnade Gottes ansprechen lassen. Hauptsache, dass sie in diesem weiten Raum der Liebe hineingenommen und aus ihren inneren Zwängen befreit werden.

Freiheit – die aus dem tiefen Ja Gottes lebt – darauf vertraut Paulus. Das ist es, was ihn stark macht. Er muss nicht um sein eigenes Leid kreisen. Und doch: Die Fesseln schmerzen; er muss befürchten, dass er hingerichtet wird. Würden uns das Leiden, würde uns unsere Angst nicht ersticken? – Was kann uns im Leben und im Sterben tragen, uns offen halten?

Diese Frage beschäftigt mich ganz persönlich. Es liegt Jahrzehnte zurück. Das hat mich eigentlich als Zuschauer etwas berührt, in dem von dieser Kraft die Rede war: Eine junge Schwesterschülerin war ihrem Krebsleiden erlegen. Bei der Beerdigung spricht der Chefarzt. Ich höre heute noch seine Worte: „Wenn ich vor ihrem Zimmer stand, dann hat sich mir das Herz zusammengekrampft. Ich war hilflos. Wenn ich aus dem Zimmer wieder herauskam, war ich getröstet.“ Was war das? Die Einstellung der Frau, dass sie ein Ja zum Leben ausgestrahlt hat, obwohl sie wusste, dass sie sterben würde.

Das hat den Arzt und das hat auch mich, der dabeistand bewegt – eine Schlüsselszene auch für mein Leben. Eine schwere Krankheit als junger Mensch hat meine Einstellung zum Leben geprägt: Ich habe die mir gegebenen Jahre als Geschenk erlebt. Als ich fünfzig werden durfte, habe ich eine große Dankbarkeit gespürt: Dass ich all die Jahre gelebt habe, unsere Kinder begleiten durfte, dass ich jetzt lebe – das ist nicht selbstverständlich.

Das hat mir Kraft gegeben, als ich vor einigen Jahren wieder mit einer lebensbedrohenden Krankheit ringen musste. In dieser unklaren Situation habe ich eine mich bis heute bewegende Erfahrung gemacht: Ich habe in mir eine tiefe Gelassenheit gespürt, eine Ruhe, die mich getragen hat. Was war das? – Was mich bestimmt hat, war eine innere Dankbarkeit, das Gefühl eines inneren Reichtums. Diesen Frieden habe ich als Geschenk erlebt. Da war ich nicht darauf fixiert, was kommen könnte. Ich war offen für das Leben jetzt und auch offen für andere. Der Satz aus dem 31. Psalm, den wir vorhin gesprochen haben, hat mich damals angesprochen und getragen: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“

Man kann das nicht machen. Das ist Gnade. Aber da ist etwas von dem lebendig, was Paulus getragen hat: dieses Ja Gottes, das er für sich hat hören dürfen, dieser Geist der Liebe, von dem er in Philippi erzählt hat.

Der Geist der Liebe – das ist wie ein weiter Raum. Darin kann ich leben. Darin kann ich mich selbst finden. Da habe ich eine Aufgabe: Meine Aufgabe ist, dass ich mein Leben bejahe. Meine Aufgabe ist, und dass ich andere bejahe. Dieser weiter Raum – ich teile ihn mit anderen Menschen. Das ist konkret. Da geht es um die Beziehung zu meiner Frau, zu meinen Kindern. Es geht um die Menschen, denen ich in meinem Beruf begegnet bin – dass ich sie wahrnehme und bejahe: Schüler, Konfirmanden, Mitarbeiter. Das war manchmal auch schwierig. Es gibt Beziehungen, die nicht gelingen. Trotzdem, wo wir diesen Raum miteinander teilen, strahlt etwas von uns aus. Da wird das Evangelium verkündet – mit und ohne Worte.

Ich habe Ihnen von meiner Erfahrung erzählt, die ich als Gnade erlebt habe. Das kann man nicht übertragen. Ich weiß, dass es auch anders laufen kann. Wenn unser Lebensgebäude in Frage gestellt wird – durch den Verlust des Arbeitsplatzes, durch eine zerbrochene Beziehung, eine tiefe Enttäuschung, durch lebensbedrohende Krankheit – das kann das Leben auch sehr eng werden, abgeschnitten. Auf einmal umgeben uns nur noch hohe Wände: Wohin treibt unsere Welt?

Und doch – lasst uns gerade da mit Gott ringen, um dieses tiefe Ja ringen, dass wir uns und unsere Welt nicht loslassen. Auf Liebe warten, sie einklagen gegen alle erdrückende Schatten. Da sind wir nah bei Jesus, bei seinem Kreuz. Und vielleicht machen wir dann auch miteinander unsere Ostererfahrung – einen neuen Aufbruch in dem wir uns und unsere Welt, so wie wir sind, wie sie ist, bejahen, in Liebe begegnen, unsere Aufgabe suchen und so einander Raum geben.       

In unserem Predigttext steckt noch ein Gedanke: Paulus sagt: Mein Leiden, meine Gefangenschaft – auch damit können Menschen bewegt werden. Das ganze Prätorium, die führenden Leute hier – sie erleben etwas Neues: Die Liebe ist stärker als ihre Macht. Ihr Hass, der darf zusammenbrechen. Vielleicht geschieht das Wunder, dass auch sie aus ihrer Enge herausfinden.

Die Liebe ist stärker als die Macht der Zerstörung, stärker als die Gier, der Hass, die Gleichgültigkeit. Können wir auch in unserem Leben, auch in unserem Leiden diese Kraft, diese Gelassenheit, Freiheit finden? In einer großen Weite denken! Es geht nicht um unser Leben, jedenfalls nicht nur. Es geht darum, dass Menschen von der Liebe, auch von unserer Liebe berührt werden.

Von uns kann etwas ausgehen, davon, wie wir unser Leben sehen und auch wie wir auf den Tod blicken. Das ist gewiss nicht glatt. Es ist ein Weg, auf dem wir sicher immer wieder um Kraft ringen müssen, umd dieses Ja Gottes. Was heißt das jetzt für mich: Gott sagt ja?

Auch wie wir auf den Tod blicken … Es gibt Menschen – und vielleicht ist auch jemand unter uns – die auch sagen: Nein, ich möchte nicht mehr leben; ich möchte sterben. Nach einer bitteren Enttäuschung. Wenn ich in mir eine fortschreitende Krankheit trage, Angst vor Schmerzen habe und davor, dass ich meine Selbstständigkeit verliere. Wenn ich nicht mehr aktiv sein, nur noch durch die Fürsorge andere weiterleben kann, Wenn mir das Leben nur noch grau und leer zu sein scheint. – Wäre es nicht besser, aus dem Leben zu scheiden? Haben wir nicht die Freiheit, dem Leben auch ein Ende zu setzen? Ich kann das verstehen und spüre doch dahinter ein tiefes Nein.

Ich möchte mich von einer Freiheit ansprechen lassen, die ja zum Leben sagt, zum Leben auch im Leiden, auch angesichts des Todes. Ja, ich darf Hilfe annehmen. Ich darf es zulassen, dass ich abhängig bin. Manche leiden sehr darunter. Aber müssen wir nicht bedenken: Ich würde doch auch meine Frau pflegen und sie in ihrer Abhängigkeit bejahen. Sie wäre auch als Kranke, auch als Mensch, der auf den Tod zugeht, für mich wichtig, ein Mensch, den ich liebe, dem ich vermitteln möchte: Dein Leben hat für mich einen Sinn. Wir können miteinander an dem tiefen Ja, an Gott festhalten. Das schließt ein, dass unerträgliche Schmerzen gelindert werden müssen, dass wir auch den Tod als Erlösung annehmen dürfen. Uns darf miteinander der Satz tragen: „Meine Zeit steht in deinen Händen.“ Da ist auch im Tod ein weiter Raum.

Amen

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